Mir ist schlecht. Ich habe mir gerade das Video angesehen, das vor Kurzem auf Wikileaks veröffentlicht wurde. Es zeigt ein Massaker, das amerikanische Soldaten an irakischen Zivilisten begingen, darunter zwei Journalisten. Ich wollte mir das nicht ansehen müssen, ganz wie Michael Seeman das am Ende seines Artikels in der FAZ-Community beschreibt. Im Alltag des Journalisten ist dies nur eine „Meldung“, ich hingegen war ratlos, wie sie zu verbloggen sei.
Ratlos auch deshalb, weil andere eigentlich alles schon gesagt haben. Dass dieses Video über Wikileaks veröffentlicht wurde und nicht in den klassischen Medien, zeigt einen derart tiefen Einblick darin, wie kommerzieller Journalismus heute funktioniert – oder sollte ich schreiben versagt, wenn Redaktionen aus welcher Art Kalkül heraus auch immer, sich nicht mehr trauen, über bestimmte Dinge zu berichten? Peter Sennhauser bringt es bei netzwertig auf den Punkt, wenn er schreibt:
Das macht die Veröffentlichung des Videos auf Wikileaks zur Schande für die Mainstreammedien: Entweder sie hatten das Video nicht – weil ihnen die Whistleblower nicht mehr trauen -, oder sie hatten es und veröffentlichten es nicht. Beides ist eine journalistische Bankrotterklärung.
Dem wäre nicht viel hinzuzufügen, wenn da nicht sofort wieder die große Frage nach den Alternativen im Raum stünde, den sozialen Medien. Wenn Blogs, Wikis und soziale Netzwerke die Art, wie wir Nachrichten konsumieren, nachhaltig verändern, fallen Redaktionen als Gatekeeper, die die Vorauswahl für uns treffen, aus. Die Nachrichtenquellen, aus denen wir uns bedienen, sind so kleinteilig, dass wir unsere eigenen Filter vorschalten und unsere eigene Auswahl im Newsreader oder unseren Bekanntenkreis darüber entscheiden lassen, welche Information zu uns durchdringt. Und weil jeder einen anderen Filter hat, also andere Quellen liest, wird die Realität, in der wir leben immer subjektiver werden. Das auch besonders, weil wir dazu neigen, denjenigen eher Glauben zu schenken, denen wir uns verbunden fühlen – Ignoranz 2.0.
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Wenn unser Alltag aber in zig Realitäten zersplittert, dann bedeutet das auch, dass Blogs kein Heilmittel gegen Medienversagen sind. Das Video erreicht mich ja nur, weil ich Wikileaks lese oder Leute, die dies tun. Wenn sich die Wahrheit bloggen lässt, dann genauso gut Propaganda. Zersplitterte Realitäten bedeuten, dass auch in einer fiktiven Medienwelt, die nur noch aus Blogs und sozialen Medien bestünde, Manipulation nicht nur möglich wäre, sondern auch durch Ignoranz und Subjektivität gefördert würde.
Jetzt versuchen die US-Geheimndienste noch, Wikileaks zu bekämpfen. Wenn Manipulatoren merken, dass sich das Netz nicht wirklich dauerhaft und flächendeckend sperren, kontrollieren oder zensieren lässt, werden sie versuchen, sich anzupassen und Seiten auf Facebook einrichten, in Wikis mitschreiben, bloggen, twittern… Das Auftauchen des Begriffs „virale Kriegsführung“ als Nachfolger der „medialen Kriegsführung“ ist dann nur noch eine Frage der Zeit.
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