US-Medienexperte Dan Gillmor hat 22 Ideen für einen neuen Journalismus vorgestellt, die zeigen, wie sehr sich der Beruf in den letzten Jahren verändert hat. Das Problem dabei: All die Regeln zu befolgen, würde einer Revolution gleich kommen. Auch wenn Gillmor mit den meisten Thesen richtig liegen dürfte, wird sie nicht jeder so umsetzen können – und auch nicht wollen.
Gillmor wird bei seinen 22 Punkten deutlich konkreter als die Gruppe von A-Bloggern vor einem Monat bei ihrem Internet-Manifest. Ole Reißmann war so fleißig, aus den 22 Punkten eine deutsche Inhaltsangabe zu erstellen. Ich habe sie hier noch einmal verkürzt als Checkliste zusammengefasst:
- Keine Jahrestags- und Jubiläumsgeschichten
- Den Leser einladen, an den Geschichten mitzuarbeiten
- Transparenz: Artikel mit Hinweisen versehen, welche Fragen noch offen sind
- Anbieten, Korrekturen als Meldungen zu abonnieren
- Reger Austausch mit und zwischen den Lesern
- Keine bloßen Stellungnahmen verkünden
- PR-Sprache in präzise Worte übersetzen
- Aus Überzeugung Links setzen
- Archive öffnen und APIs bereit stellen
- Leser als Nutzer betrachten, nicht nur als Konsumenten
- Keine “Die zehn …” Listen veröffentlichen
- Auf anonyme Quellen weitestgehend verzichten
- Anonyme Quelle öffentlich machen, wenn sie wissentlich lügt
- In Leitartikeln und Kommentaren auf Sätze wie “Die Kanzlerin muss…” verzichten
- Regelmäßig auf die Arbeit von Mitbewerbern hinweisen, insbesondere Nischenblogs
- Auf wichtige Geschichten hinweisen, selbst wenn wir uns ärgern, nicht selbst als erster darüber berichtet zu haben
- Hartnäckig am Ball bleiben, wenn uns ein Thema für unsere Zielgruppe wichtig erscheint
- Hintergrundartikel für regelmäßige Themen bereitstellen
- Die Leser auf Möglichkeiten der Kontaktaufnahme hinweisen
- Verdeckte Interessen der Protagonisten eines Beitrags benennen
- Aus Einzelfällen keine Phänomene machen wie “Immer mehr Jugendliche…”
- Keine Leitartikel veröffentlichen, den die berühmten Protagonisten nicht selbst verfasst haben
Die 22 Punkte scheinen gleichermaßen als Anregung für Online-Journalisten und “etablierte” Print-Journalisten gemacht zu sein. Die Punkte 6 und 7 beispielsweise sollten für Journalisten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Im schnellen und schlecht bezahlten Online-Geschäft verzichten aber einige Kollegen sicher darauf. Punkt 5 dürfte hingegen für “alt eingesessene” Journalisten komplettes Neuland bedeuten.
Journalistenmythos entzaubert
Und überhaupt: Gillmor verlangt Journalisten hier einiges ab. Der Mythos des fehlerfrei recherchierenden Journalisten, der Experte auf einem Gebiet ist, wird damit endgültig entzaubert. Es dürfte aber für geschätzte 90 Prozent der Zunft ein Hartes bis schier Unmögliches sein, mit Lesern zusammen zu arbeiten, Korrekturen am laufenden Band zu veröffentlichen und offen zuzugeben, dass man einige Fragen nicht beantwortet hat.
Denn mit Verlaub: Hier ändert sich die Rolle des Journalisten komplett. Er würde damit mehr zu einer Art Informationsverwalter und er würde seine Leser zu Experten machen, die mit den zitierten Experten im Text auf Augenhöhe stehen.
Eine mittlere Revolution dürften auch die Punkte 8, 15 und 16 sein. Auf Quellen zu verlinken (8), ist zum Glück bei vielen Blogs und Online-Magazinen inzwischen usus. Aber auf die Arbeit der Mitbewerber (sprich: der Konkurrenz) hinzuweisen (15) und dabei auch noch gute Miene zu machen (16)? Das ist ziemlich viel verlangt!
Miteinander statt gegeneinander
Auf der anderen Seite ist der Sinn des Ganzen nicht abszustreiten: Auf YuccaTree (und früher als freshzweinull) hatten wir von Anfang an ein gutes Verhältnis zu Online-Magazinen, die über ähnliche Themen berichten wie wir. Dabei sind es durchaus Mitbewerber wie Basic Thinking, Alles2null, dem Upload-Magazin und Zweipunktnull.org.
Aber, was soll man sagen: Ich berichte hin und wieder gerne über ausgezeichnete Berichte, die niemand schneller findet und besser aufschreibt als André Vatter von Basic Thinking, der sich seinerseits nie scheut, kuriose Geschichten zu retweeten, von denen wir als erste berichtet haben. Jan Tißler vom Upload-Magazin hat vor einigen Monaten ein Interview mit mir veröffentlicht, und ich freue mich sehr, regelmäßig in Uwes Frühstückslinks auf Alles2null aufzutauchen. Casi von Zweipunktnull.org kommentiert hin und wieder bei uns und ich manchmal bei ihm.
Man könnte noch viel mehr tun. Und ich glaube übrigens nicht, dass irgend jemand von uns dadurch auch nur einen Leser verloren hat…
Die Herausforderung ist längst Realität
Zum zweiten Punkt: Dass im Publikum von mehreren hundert oder tausend Lesern jemand sitzt, der sich in einem Thema besser auskennt als der Journalist, ist sehr wahrscheinlich und längst Realität. Warum sollte der Journalist also noch so tun, als sei er Experte für etwas, das er nicht ist? Er muss runter von seinem hohen Ross.
Die entscheidende Frage ist aber die, und ich stelle sie euch: Würdet ihr einen Journalisten noch ernst nehmen, der nicht als Experte über ein Thema schreibt, der die Leser an seinen Texten mitarbeiten lässt und sich praktisch schon vorher dafür entschuldigt, dass es im Text noch Fehler gibt, die erst später enttarnt werden? Fändet ihr das eher komisch, oder fändet ihr das vielleicht sogar angenehm? Ich lade euch also hiermit dazu ein, mit mir hier in den Kommentaren darüber zu diskutieren. Und ja, ich werde fleißig mitdiskutieren. :)
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